Wahrnehmungsfilter und dessen Bedeutung im Führungsalltag
Wie viele von den 4 Mrd. Reizen pro Sekunde, die auf jeden von uns einprasseln, nehmen Sie wahr? Wie wird das entschieden? Und anhand welcher Kriterien? Und was hat das mit Ihrer Führungsarbeit zu tun?
Gar nicht wenig. Wir halten den reflektierten Umgang mit Ihrem individuellen Wahrnehmungsfilter für elementares Wissen für Ihre Führungspraxis.
Die Art, wie Sie wahrnehmen steuert Ihre Entscheidungen und Ihren Blick auf Situationen in der Zusammenarbeit. Konflikte beruhen oftmals darauf, dass wir unterschiedliche Erwartungen an Situationen und auch unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen haben. Jeder denkt für sich, dass das, was er sieht, auch sein Gegenüber so sehen muss. Prallen diese unterschiedlichen Wirklichkeiten aufeinander, kann es zu Handlungen kommen, die das Gegenüber möglicherweise missinterpretiert. Auch in politisch so aufgeheizten Zeiten sollten wir nicht die Unterschiedlichkeit unserer mentalen Landkarten vergessen, die aufgrund unserer bewusst und unbewusst gesetzten Filter entstehen.
Was wir wahrnehmen wird durch unser bisheriges Leben geprägt. Unsere Erfahrungen entscheiden, welche Bedeutungen wir den wahrgenommenen Reizen geben und auch welche Annahmen wir treffen und Schlussfolgerungen wir daraus ziehen. Das alles passiert in Bruchteilen von Sekunden in unserem Gehirn. Von außen zu beobachten ist jedoch nur unsere Handlung, die als Resultat dieses Filter- und Konstruktionsprozesses, sichtbar wird.
Wahrnehmungsfilter sind Fluch und Segen zugleich
Aus unserer Umwelt erhalten wir pro Sekunde 12 Millionen Bits an Informationen. Davon schaffen es maximal 40 Bits in unser Bewusstsein. Von den 12 Millionen Bits an Informationen kommen 10 Mio. über das Sehen, 1 Mio. über das Hören und der Rest über das Riechen, Schmecken und Fühlen.
Unser Wahrnehmungsfilter schützt uns vor Reizüberflutung. Allerdings entscheidet er auch darüber, was zu uns durchkommt und was nicht. Dieser Funktion sollten wir uns bewusst sein.
Was passiert eigentlich genau in unserem Gehirn im Prozess der Wahrnehmung?
Würden wir alles verarbeiten, was wir wahrnehmen können, würden wir schier wahnsinnig werden. Das Gesehene trifft zuerst im Gehirn ins Sehzentrum (Sitz unserer Erwartungen) und wird dort verarbeitet und mit unseren Erwartungen abgeglichen. Was nicht den Erwartungen entspricht, geht dann weiter in das Zentrum für Erinnerungen (Amygdala) und wird hier kategorisiert. Wir vergleichen die Information mit etwas, das wir kennen und generalisieren. Diese Information läuft nun Richtung Stirnlappen (Teil des limbischen Systems, dem Sitz der Erfahrung). Dort wird der Information nun eine Bedeutung gegeben, d.h. aufgrund der generalisierten Erinnerung und gemachten Erfahrung entscheiden wir, ob die gesehene Situation gut oder schlecht für uns ist. Es zeigt uns, wie wir zu der Situation stehen.
Am Ende gelangt die Information in die Großhirnrinde (Handlungszentrum unseres Gehirns) und richtet unsere Handlung danach aus, wo wir stehen und wo wir hin wollen. Diese Handlung ist von außen beobachtbar.
Wir alle handeln nach einer individuellen mentalen Landkarte, die das Ergebnis eines sehr komplexen Informationsverarbeitungsprozesses ist.
Jeder Mensch hat viele dieser inneren Landkarten erstellt und nutzt sie als mentales Modell, um zu handeln. Wichtig hierbei ist nur, dass wir unsere inneren Landkarten nicht als die Realität ansehen, die für alle gleichermaßen gelten muss.
Eine komplexer werdende Welt erschwert uns Entscheidungen zu treffen.
Aber was hat nun mit inneren Landkarten und Wahrnehmungsfiltern zu tun?
Die Bewältigung von komplexen Problemen beginnt mit der eigenen Bewusstheit. Und damit meinen wir das Wissen darum, dass wir uns alle unsere Realität selbst schaffen und auch wie wir das tun. Die vielen inneren Landkarten, wie wir im Laufe des Lebens erstellen, um uns zu Recht zu finden und handlungsfähig zu bleiben, gilt es regelmäßig zu hinterfragen. Kann die Realität des Gegenübers nicht genauso richtig sein, wie meine? Muss ich meine Erwartungen verändern, meine Kategorien aus den Erinnerungen anpassen oder auch gemachte Erfahrungen reflektieren, um ihnen andere Bedeutungen geben zu können?
Meditation und Achtsamkeit sind zwei Möglichkeiten an den eigenen Wahrnehmungsfiltern zu arbeiten
Wir können mit unserem Wahrnehmungsfilter arbeiten, indem wir uns mit ihm auseinandersetzen und bewusst machen, was wir wahrnehmen. Wir können den Filter etwas verändern und bewusst mit den Wahrnehmungen arbeiten, Bedeutung und Annahmen hinterfragen und eventuell neue Schlussfolgerungen ziehen, die auch ein anderes Handlungsmuster entstehen lässt. Jeder von Ihnen kennt das: Mit jeder neuen Erfahrung, verändert sich auch etwas in unserer Wahrnehmung und unserer Wirklichkeitskonstruktion. Haben wir eine Reise in eine fremde Kultur unternommen und kehren zurück, nehmen wir unsere Umwelt anders wahr. Haben wir ein neues Auto gekauft, sehen wir viel mehr von diesem Modell auf den Straße etc. Diese Arbeit an den Wahrnehmungsfiltern macht einen Großteil von individuellen Coachingprozessen aus.
Und was hat das alles mit Führungsarbeit zu tun?
Die Führungskraft als Coach ist ein zeitgemäßer Ansatz in der modernen Führungsarbeit. In schwierigen Situationen deeskalierend zu wirken, Verständnis für die Handlungen des Gegenübers zu erzeugen ist eine wichtige Aufgabe von Führungskräften. Konflikte konstruktiv zu klären erfordert den bewussten Umgang mit Wirklichkeitskonstruktionen, den Mechanismen dahinter und der Möglichkeit, sich selbst zu hinterfragen und sich zu interessieren, warum Menschen handeln wie sie es tun.
Erst wenn wir den Anspruch aufgeben die Wahrheit zu kennen und unser Handeln als Maxime für alle anderen anzusehen, haben wir die Chance einander wirklich zu verstehen und in der Kommunikation authentisch zu begegnen. Dafür braucht es Reflexionskraft, Bereitschaft sich und seine Landkarten zu zeigen und die des anderen kennenzulernen, sowie das Bewusstsein um unseren ständigen Begleiter – dem individuellen Wahrnehmungsfilter. Segen und Fluch zugleich!
Weitere Informationen:
Wenn Sie sich über unser Führungskräftecoaching informieren möchten, lesen Sie hier weiter: Coaching für Führungskräfte
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Quellen: Paul Watzlawik; Robert B. Dilts; Prof. Manfred Zimmermann, Psychologisches Institut der Universität Heidelberg
Photo credit: Dawid Zawila, unsplash
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